Es gibt so Tage, da scrollt man durch X (früher Twitter), liest Schlagzeilen, hört Radio oder streift durchs Fernsehprogramm – und denkt sich: „Alter, was ist nur mit diesem Land los?“ Links gegen rechts, Stadt gegen Land, Jung gegen Alt, Klimaaktivisten gegen SUV-Fahrer, Impfgegner gegen Virologen, Genderfreunde gegen Sprachpuristen – und alle gegen die Öffentlich-Rechtlichen. Willkommen in der Bundesrepublik 2025, dem gefühlt aufgewühltesten Deutschland seit der Wende.
Aber ist die Gesellschaft wirklich so gespalten? Oder wird da medial, politisch und algorithmisch kräftig nachgeholfen? Schauen wir mal kritisch drauf – mit klarem Kopf und ohne Filterblase.
Was bedeutet „Spaltung der Gesellschaft“ überhaupt?
Die „Spaltung“ ist mittlerweile zu einem politischen Allzweck-Schlagwort verkommen. Kaum eine Debatte, in der es nicht heißt: „Das spaltet die Gesellschaft!“ Aber was heißt das eigentlich?
Eine gespaltene Gesellschaft meint nicht einfach Meinungsunterschiede – die gehören zur Demokratie dazu. Sondern: Wenn sich Gruppen nicht nur uneinig sind, sondern sich gegenseitig als feindlich, moralisch verkommen oder gar als Gefahr sehen. Wenn die Dialogfähigkeit schwindet und Identität wichtiger wird als Argumente.
Fünf Frontlinien, die Deutschland durchziehen
1. Stadt vs. Land
Während man in Berlin-Friedrichshain über gendergerechte Sprache diskutiert, kämpft der Pfälzer Dorfbäcker mit Funklöchern und Ärztemangel. Das Lebensgefühl ist ein völlig anderes – und manchmal scheint es, als würden diese Welten nicht mal dieselbe Sprache sprechen.
2. Klimakampf vs. Lebensrealität
„Klebt euch nicht auf die Straße – ich muss zur Arbeit!“ – viele Bürger haben die Schnauze voll von Klimaaktivismus, fühlen sich bevormundet und wirtschaftlich abgehängt. Gleichzeitig sagen viele Jüngere: „Ihr fahrt uns unsere Zukunft kaputt!“ Es geht um mehr als CO₂ – es geht um Lebensmodelle.
3. Ost vs. West
Noch über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung existiert ein tiefes Ost-West-Gefälle – ökonomisch, politisch und emotional. In vielen ostdeutschen Regionen fühlt man sich strukturell abgehängt, nicht ernst genommen und medial verzerrt dargestellt.
4. Wokeness vs. „gesunder Menschenverstand“
Wokeness, Gendersternchen, kulturelle Aneignung, Cancel Culture: Für die einen überfällig und gerecht. Für die anderen übertrieben, spalterisch und absurd. In Talkshows, auf Schulhöfen und in Feuilletons wird mehr über Moral debattiert als über Inhalte.
5. Vertrauen vs. Verschwörung
Spätestens seit Corona ist das Vertrauen in „die da oben“ bei vielen dahin. Wissenschaft, Medien, Justiz – alles angeblich „unter einer Decke“. Fake News verbreiten sich rasend schnell, Fakten interessieren weniger als die eigene Wahrheit.
Politik – Spalter oder Spiegel?
Klar, man kann die Schuld immer der Politik geben. Und oft hat sie sich das auch verdient. Eine Regierung, die sich oft im Technokraten-Klein-Klein verliert, ein Bundestag, der sich regelmäßig in Schlammschlachten zerlegt, und Oppositionsparteien, die lieber anzünden als aufbauen.
Aber: Politiker sind keine Marsmenschen. Sie spiegeln auch die gesellschaftlichen Konflikte wider. Der Aufstieg der AfD ist nicht aus dem Nichts passiert. Genauso wenig wie Fridays for Future oder die „Letzte Generation“.
Medien, Social Media & Co: Wer schürt hier was?
Die Algorithmen von X, TikTok & Co. lieben Emotion – je wütender, desto viraler. Das belohnt Zuspitzung, nicht Differenzierung. Wer differenziert, wird überlesen. Wer polarisiert, wird zitiert.
Auch klassische Medien sind nicht unschuldig. „Empör Dich täglich“ ist zum Geschäftsmodell geworden. Und während manche Redaktionen für „den Diskurs“ kämpfen, betreiben andere lieber Meinungstheater.
Und was ist mit uns? Die Gesellschaft in der Eigenverantwortung
Mal ehrlich: Wie oft redest du mit jemandem, der wirklich anders denkt als du – und hörst ihm dabei zu? Wie oft verlässt du deine digitale Komfortzone? Demokratie lebt vom Diskurs, nicht vom Abblocken.
Die gute Nachricht: Die Mitte ist noch da. Laut Studien fühlt sich die Mehrheit der Deutschen weder „woke“ noch „rechts“ – sondern irgendwo dazwischen. Aber sie ist oft still, genervt, überfordert.
Was tun gegen die Spaltung?
- Mehr zuhören statt sofort bewerten
- Unterschiede aushalten, ohne Feindbilder aufzubauen
- Medienkompetenz stärken – auch bei Älteren
- Politik verständlicher machen – ohne PR-Geschwurbel
- Beziehungen über Blasen hinweg pflegen
Fazit: Gespalten, ja – aber nicht zerbrochen
Ja, Deutschland ist gespalten – in vielen Fragen, auf vielen Ebenen. Aber das heißt nicht, dass wir vor dem Kollaps stehen. Die eigentliche Gefahr ist nicht der Streit, sondern die Sprachlosigkeit. Wenn keiner mehr mit dem anderen spricht, dann ist’s wirklich vorbei.
Aber noch ist es nicht so weit. Noch können wir Brücken bauen. Oder zumindest damit anfangen, die Mauer in unseren Köpfen abzubauen. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber: Es geht.
Bild: ChatGPT